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Interview an Neue Zürcher Zeitung
Veröffentlicht am 07 Mai 2015 Jahr 15:35

Er ist der Botschafter einer Nation im Krieg, sagt er. Oleksandr Scherba über seinen Ruf als Putinversteher, die Wiener Agentur für die Modernisierung der Ukraine und Oligarchengeld auf österreichischen Konten.

Wer zum Botschafter will, muss sich von der Wache mit der riesigen Mütze abholen lassen. Der stämmige Mann kontrolliert die Papiere, geht dann über die Kieselpfade vor, die durch den sorgsam getrimmten Rasen der zweistöckigen Villa im 18. Wiener Gemeindebezirk führen. Wo einige der Reichen der Stadt wohnen, liegt auch die ukrainische Botschaft inmitten eines kleinen Residenzgartens.

 

Oleksandr Scherba leitet sie seit ein paar Monaten. Der 44-Jährige hat sein ganzes Leben in Politik und Diplomatie verbracht, zuletzt wechselweise als Berater der Kiewer Regierung oder als Sonderbotschafter des Außenministeriums. Gestern hatte er einen seiner ersten offiziellen Auftritte im Amt: Die Befreiung Wiens durch die Rote Armee jährte sich zum 70. Mal.

 

NZZ: Sie haben am vergangenen Montag eine eigene Zeremonie beim Denkmal des russischen Soldaten am Schwarzenbergplatz abgehalten. Können Russen und Ukrainer nicht einmal mehr der Opfer des Zweiten Weltkrieges zusammen gedenken?

 

OS: Ich kann nicht die Einladung eines Landes annehmen, das die Ukraine gerade bluten lässt und diesen miesen, grausamen, angeblich nicht existierenden Krieg führt. Die Zeit wird kommen, wo wir unserer Toten aus dem Zweiten Weltkrieg zusammen gedenken, aber der Weg wird lang sein. Wien wurde von der zweiten und dritten Front der Roten Armee befreit, das waren vor allem Ukrainer. Für den ukrainischen Botschafter ist der Gedenktag deshalb eine Pflicht und eine Herzensangelegenheit. Noch dazu liegt der Bruder meiner Oma in Österreich begraben.

 

NZZ: Im vergangenen Jahr haben Russen und Ukrainer auch schon getrennt gedacht. Ihre Kollegen aus Kasachstan, Kirgisien, Weißrussland, Usbekistan und Turkmenistan gehen mit den Russen mit. Ist man da als ukrainischer Botschafter ein bisschen sauer?

 

OS: Ich war bei der Kranzniederlegung nicht alleine, die aserbaidschanischen Kollegen haben mich begleitet. Natürlich hätte ich lieber, dass meine Kollegen sich mit der Ukraine solidarischer zeigen würden. Wenn sie persönlich mit mir reden, schlagen sie einen anderen Ton an als offiziell. Aber wir sind alle Diplomaten und an bestimmte Positionen unserer Regierungen gebunden.

 

NZZ: Sauersein ist keine diplomatische Kategorie.

 

OS: Nein.

 

NZZ: Ein anderer Sonderbotschafter des ukrainischen Außenministeriums, Ihr Kollege Dmytro Kuleba, hat gesagt, Sie seien einmal „Russlandfreund“ und „Putinversteher“ gewesen.

 

OS: I am a recovering Putinversteher.

 

NZZ: Nach dem Maidan haben Sie Ihre Meinung geändert. Ist das so einfach?

 

OS: Putinversteher war in meinem Fall ironisch gemeint. Ich empfand allerdings immer eine große Sympathie und Verständnis für Russland, auch wenn ich das letzte Mal 1993 dort war. Ich fühle mich der russischen Literatur tief verbunden, ich habe für den russischen Standpunkt immer Verständnis gehabt. Das alles geht aber nur bis zu einem bestimmten Punkt. Dieser Punkt ist erreicht, wenn Russland in dein Haus kommt, dir dein Haus wegnimmt, deine Leute tötet.

 

NZZ: Es gibt den Vorwurf von russischer Seite, die Ukraine sei von Rechten und Nationalisten unterwandert. Kann man als ehemaliger Russlandfreund in Kiew noch etwas werden?

 

OS: Natürlich, ich bin Botschafter geworden.

 

NZZ: Aber in Wien. Ich habe wegen Kiew gefragt.

 

OS: Der Außenminister ist ethnischer Russe, er hat in Moskau die Uni abgeschlossen. Als Nationalist kann man ihn nicht bezeichnen. Wir haben einen ethnischen Juden als Parlamentspräsidenten, ein ethnischer Armenier ist jetzt der Innenminister. Wenn die Russen sagen, das ist eine nationalistische Junta, dann sollten sie auf sich selber schauen.

 

NZZ: Sie haben den Posten im Dezember angetreten. Ein Jahr zuvor war in der Ukraine noch kein Krieg. Was bedeutet das für Ihren Job?

 

OS: Wir sind jetzt eine „nation at war“, wie die Amerikaner sagen. Ich sehe meine Aufgabe vor allem darin, den Schmerz der Ukrainer für die Österreicher sichtbar und spürbar zu machen. Man muss das Ausmaß der Tragödie verstehen.

 

NZZ: Sie haben gesagt, Sie wollen den Österreichern klarmachen, was aus Ihrer Sicht das Leid der Ukraine ist.

 

OS: Warten Sie, ich verkaufe nichts. Ich erzähle schlicht, was in der Ukraine passiert. Im September wurde ein ukrainischer Soldat nahe Donezk umgebracht, er verbrannte bei lebendigem Leibe in seinem Panzer. Seine Mutter hatte nur einen Sohn, sie erhängte sich in der Garage ihres Hauses. Statt einem wurden deshalb zwei Särge zu Grabe getragen. In einer russischsprachigen Stadt, in einer ethnisch russischen Familie. Das unter anderem, weil Russland ungestört und unkontrolliert Anti-Panzer-Raketen an die sogenannten Rebellen liefert. Die gleichen Raketen, vor denen der Westen Angst hat, sie uns zu liefern. Der russische Botschafter hat im Fernsehen gesagt, es gehe in der Ukraine um die strategischen Interessen Russlands. Spielt das für die Mütter der einzelnen toten Soldaten eine Rolle? Nein. Im 21. Jahrhundert darf man doch nicht wie jemand aus dem 19. oder aus den schlimmsten Jahren des 20. Jahrhunderts agieren.

 

NZZ: Furchtbare Geschichten aus dem Krieg erzählen meist beide Seiten, die aufeinander schießen. Was erwarten Sie sich denn von den Österreichern als Reaktion darauf?

 

OS: Diese „furchtbaren Geschichten“ sind aber nicht passiert, bevor Putins Soldaten ohne militärische Abzeichen eingerückt sind. Die Neutralität Österreichs darf nicht Gleichgültigkeit bedeuten. Ich akzeptiere, dass Österreich militärisch oder politisch nicht eingebunden werden will. Aber ich treffe in Österreich auch Vertreter der Eliten, die Tatsachen ignorieren. Ein Teil meines Landes wurde annektiert. Fremde Spezialeinheiten wurden zuerst auf die Krim und dann in den Donbas entsandt und haben diesen Krieg gestartet. Diese Tatsachen zu ignorieren, ist inakzeptabel und unmoralisch.

 

NZZ: Sie haben sich dafür ausgesprochen, dass der Westen der Ukraine Waffen schicken soll.

 

OS: Defensive Waffen.

 

NZZ: Die sind aber auch tödlich, und abfeuern muss man sie auch.

 

OS: Es ist Krieg. Die Ukraine verteidigt sich gegen Aggression eines Staates, der sich an keine Regeln hält und der die Angst des Westens mit jeder Faser genießt. Eine Akademikerin sagte neulich, es sei jetzt eine „angespannte Situation“, die in einen Krieg umschlagen könne, wenn die Amerikaner die Waffen dazu liefern würden. Ich bin sprachlos. Der Tod von 6.000 Menschen, der Exodus von 2 Millionen soll eine „Spannung“ sein? Das ist ein Krieg, der mit modernsten russischen Waffen unter russischen Fahnen mit Händen russischer Staatsbürger geführt wird. Die Ukraine braucht jetzt Waffen, um sich gegen eine der stärksten Militärmächte der Welt verteidigen zu können. Und nicht nur sich, sondern die europäischen Werte, Freiheit und Demokratie, die dem Westen doch nicht gleichgültig sein können.

 

NZZ: Wie auch immer man das sieht: Die EU wird sich nicht zu der Entscheidung durchringen, gemeinsam akkordiert Waffen zu liefern. Das auf dem Papier neutrale Österreich dürfte ja gar nicht mitmachen und Waffen in ein Kriegsgebiet liefern.

 

OS: Ich finde nicht, dass Österreich in dieser Situation der größte Blockierer ist.

 

NZZ: Aber einer von mehreren, wäre das korrekt?

 

OS: Eines der sehr vorsichtigen EU-Mitglieder, ja. Blockierer, nein. Ich glaube, dass die EU den richtigen Ton angeschlagen hat, als sie gesagt hat, die Bereitstellung der Waffen sei eine bilaterale Angelegenheit, und jedes Land muss die Frage für sich selbst entscheiden.

 

NZZ: Es gibt einen sehr berühmten ukrainischen Geschäftsmann, der seit fast einem Jahr auf Kaution in Wien festsitzt: Dmytro Firtasch. Haben Sie mit ihm Kontakt?

 

OS: Nein.

 

NZZ: Mit Firtaschs Geld wurde vor einem Monat in Wien die Agentur zur Modernisierung der Ukraine (AMU) gegründet. Dort werden ausrangierte Politiker aus verschiedenen EU-Ländern gut bezahlt, um ein paar Milliarden Euro für ein Reformprogramm zu sammeln, das dem US-amerikanischen Marshall-Plan gleichen soll. Was halten Sie davon?

 

OS: Es ist eine gute Idee, wenn der Privatsektor sich am Wiederaufbau der Ukraine beteiligen will. Aber die Umsetzung ist nicht möglich, wenn die ukrainische Regierung nicht einbezogen wird. Das fehlt mir noch.

 

NZZ: Auf der Konferenz hieß es, Präsident Petro Poroschenko unterstütze das Projekt.

 

OS: Dort wurde ein Telefonat erwähnt. Ich war bei diesem Telefonat nicht dabei.

 

NZZ: Man könnte sagen, es gibt da eine gewisse Ironie: Da kommt Dmytro Firtasch, der sein Geld in der durch und durch korrupten Ära Janukowitsch verdient hat und will nun mit diesem Geld die Ukraine retten und die Korruption bekämpfen. Wie sehen Sie das?

 

OS: Es ist eine neue Zeit für die Ukraine. Bürger, Regierung und Geschäftsleute müssen vieles umdenken. Alle – auch sehr reiche Ukrainer – wissen, dass man mit diesem Level an Korruption und Bürokratie nicht erfolgreich sein kann. Hoffentlich sieht das Herr Firtasch auch so.

 

NZZ: In den vergangenen Wochen hat sich ein anderer Oligarch, Ihor Kolomoiski, gegen die Regierung gestellt. Präsident Poroschenko konnte dieses erste Machtduell gewinnen.

 

OS: Ich glaube, Herr Kolomoiski ist ein Patriot der Ukraine. Am Ende saßen er und der Präsident an einem Tisch und haben alles friedlich geregelt.

 

NZZ: Kolomoiski hat zuvor private Söldner aufmarschieren und die Tore zu einer Fabrik zuschweißen lassen, weil ein neues Gesetz seinen Einfluss auf eine Firma beschränkte.

 

OS: Dieser Krieg hat uns alle verändert. Wir sind als alte Ukrainer in diesen Konflikt gegangen, aber als neue Ukrainer herausgegangen. Das gibt mir Hoffnung.

 

NZZ: Es gibt etwas, was Kolomoiski, Firtasch und auch Wiktor Janukowitsch gemeinsam haben: Sie alle haben ihr unter dubiosen Umständen erwirtschaftetes Geld in Wien investiert.

 

OS: Österreich ist die Drehscheibe Europas, das ist die natürliche Rolle dieses Landes. Das ist einer der Gründe, warum Österreich ein Wirtschaftsparadies ist. Wir beabsichtigen nicht, diesem Gedeihen im Weg zu stehen. Umgekehrt, wir eröffnen neue Chancen, Geld zu verdienen – nur diesmal ehrlich.

 

NZZ: Aber Leute wie Janukowitsch haben doch jahrelang dem ukrainischen Volk das Vermögen entzogen und es dann unter anderem über Österreich verwaltet und hier investiert.

 

OS: Das ist mir bewusst.

 

NZZ: Die berühmte Oligarchen-Villa von Janukowitsch wurde von einem Österreicher treuhändisch gehalten. Glauben Sie, da sollte es eine spezielle Aufarbeitung geben?

 

OS: Wir arbeiten zusammen. Letzte Woche war ich beim Chef des Bundeskriminalamtes. Ich war sehr beeindruckt von seinem positiven Ton gegenüber der Ukraine. Wir müssen jetzt ausreichend Beweismaterial zur Verfügung stellen. Wenn wir Ukrainer mit Aufarbeitung bestimmter Fälle nicht zufrieden sind, dann dürfte es eher an uns liegen und nicht an Österreich.

, Щерба Олександр Васильович

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