Der österreichische Nationalrat hat diese Woche das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ratifiziert. Die Mehrheit hat dem zugestimmt, wofür hunderte und tausende Ukrainer seit 2014 bluten – der gemeinsamen Zukunft mit Europa
Wir Ukrainer wissen, wie schwer unser Weg nach Europa sein wird. Jetzt mehr als je zuvor. Aber mehr als zuvor sind wir auch entschlossen, denselben Weg zu gehen, den bereits unsere Brüder aus dem Baltikum, Polen oder der Tschechischen Republik gegangen sind. Das heißt – aus eigener Kraft zu einer besseren Nation zu werden. Fair, unbestechlich, stabil.
Und wenn man uns daran erinnert, wie weit wir von diesem Ziel entfernt sind (an Ukraine-Skeptikern hat es hierzulande ja nie gemangelt), dann streiten wir nicht. Trotz der verbreiteten – und übrigens ziemlich rassistischen – Ansicht, dass Millionen Ukrainer dumm genug waren, sich von irgendeiner dritten Macht gegen Russland einspannen zu lassen, waren zwei Revolutionen innerhalb eines Jahrzehnts vor allem ein Zeugnis des Strebens der Ukrainer nach einem besseren Staat, Ausdruck ihres Verlangens nach Würde und Freiheit.
Am 8. Juli hat das österreichische Parlament diesem Verlangen Respekt gezollt. Aber während der Debatte passierte etwas, was mir den Atem verschlug. Die außenpolitische Sprecherin des Teams Stronach, Jessi Lintl, sprach sich gegen die Ratifizierung des Ratifizierungsvertrags aus – mit der Begründung, dass „die Ukraine, Georgien und Moldawien zur Einflusszone Russlands gehören“. Einige haben geklatscht.
Lintls unhygienische Rhetorik
Ich weiß, dass derartige Rhetorik verbreitet ist, nicht nur in Biergärten. Aber sie im Hohen Haus vorzutragen ist – zumindest! – unhygienisch. Sind wir tatsächlich an dem Punkt angelangt, wo auf europäischen Bühnen Worte verlauten, die eher in die Epoche der Sklaverei passen als in das 21. Jahrhundert? Sind wir Europäer soweit, die Erfahrungen von 1938 und 1939 zu wiederholen, indem wir schwächere Nationen machtgeilen Diktatoren zum Fraß vorwerfen?
Das populärste politische Spiel heißt derzeit: „Was will Putin eigentlich?“ Meine Antwort: Er will drei Stühle im Park. Die drei Stühle, die wir von der Jalta-Konferenz 1945 kennen, bei der Stalin, Roosevelt und Churchill zusammensaßen, um die Welt zu verteilen: „Frankreich geht an dich, die Tschechoslowakei geht an mich. Mit Österreich werden wir uns später befassen.“ Die Tatsache, dass sich Jalta im Endeffekt für Österreich positiv ausgewirkt hat, bedeutet nicht, dass das Denken in Einflusszonen die Antwort auf europäische Probleme ist. Denn: Die Völker Europas werden nicht mehr mitspielen – und die Ukraine schon gar nicht.
2014 haben die Ukrainer die Worte gesagt, die manchen in Europa noch in Erinnerung sind: Wir sind das Volk! Keine Sklaven, kein Rindvieh, kein Kadaver, der von geopolitischen Metzgern zerhackt wird. Und diese wiedergefundene Würde, diese von niemandem antizipierte Freiheit wird uns niemand wegnehmen können – nicht einmal Jessi Lintl. Ich danke den meisten österreichischen Politikern dafür, dass sie diesen Ton vermeiden. Aber dass er politisch offenbar salonfähig ist, bereitet mir Sorgen.