Warum seit Anfang September eine Waffenruhe im Osten der Ukraine hält und was Europa tun sollte.
Es ist erfreulich ruhig geworden im Donbass. Über die Gründe und den Weg in Zukunft sprachen die SN mit dem ukrainischen Botschafter Olexander Scherba.
SN: Die Waffenruhe in der Ostukraine hält bereits sein Anfang September. Sehen sie den Beginn eines Friedens?
Scherba: Ja, ich sehe die vielleicht größte Chance seit Beginn der russischen Aggression.
SN: Warum hat sich die Lage plötzlich geändert?
Weil Russland eine Änderung seiner Haltung vorgenommen hat. Der Kreml hat den Schlüssel zu einer Friedenslösung. Ich hoffe, dass man zur Folgerung gelangt ist, diesen Schlüssel zu benützen.
SN: Was waren denn die Gründe für den Haltungswechsel?
Moskau hat begriffen, dass die Sanktionen und der niedrige Ölpreis eine große Herausforderung sind und dass diese ganze Situation wirtschaftlich nicht unendlich tragbar ist.
SN: Sehen Sie einen Zusammenhang mit Syrien-Verhandlungen, die jetzt schön langsam in Gang kommen könnten? Will sich der Kreml den Rücken frei halten
Die Ukraine hatte immer eine absolute Priorität für den Kreml. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ukraine plötzlich weniger wichtig für Moskau geworden ist. Aber ich kann mit sehr gut vorstellen, dass irgend welche geopolitischen spiele gespielt werden. Darüber aber will ich nicht spekulieren.
SN: Sie haben gesagt, dass die Ukraine immer schon sehr wichtig für Russland war. Wie kann eine Zukunft aussehen, die einerseits die Sicherheitsbedürfnisse Russlands erfüllt, andererseits aber Eigenständigkeit ermöglicht?
Ich bin überzeugt, dass Sicherheitsbedürfnisse Russlands kein Grund für die Aggression waren. Das war eine Vermutung seitens des Westens und eine Illusion, die von Moskau verbreitet wurde. Als dieser Krieg anfing, unterstützten 14 Prozent der Ukrainer eine NATO-Mitgliedschaft. Damit hätten man das Land nicht in die NATO führen können. Jetzt aber wollen als Folge des russischen Verhaltens bis zu 60 Prozent der Bevölkerung in die NATO. Sollte es also ein Ziel gewesen sein, eine Anbindung an die NATO zu verhindern, so hat sich jemand in den Fuß geschossen.
SN: Trotzdem muss mit Russland um eine Lösung verhandelt werden.
Aus unsere Sicht ausschlaggebend sind die Wahlen in den besetzten Gebieten im Donbass. Sie müssen unter ukrainischer Gesetzgebung durchgeführt werden. Nur dann kann es eine legitimierte Administration geben, Wir wollen nicht mit denen verhandeln, die Moskau eingesetzt hat. Zweitens ist die Kontrolle über unsere eigenen Grenzen wichtig, sonst ist alles andere zwecklos.
SN: Wie stark ist der viel kritisierte Rechte Sektor in der Ukraine?
Das sind einige Tausend Leute, die weder in der Politik noch in den Behörden vertreten sind. Das sind die radikalen Kämpfer. Sie haben keinen politischen Einfluss.
SN: Aber sie sind bewaffnet und mächtig.
Das ist eines der Probleme, mit denen sich das Land befassen muss, Die ganze Ukraine ist voll bewaffneter Männer, die diese Kriegserfahrungen gemacht haben. Da findet sich nicht nur der Rechte Sektor.
SN: Sind das organisierte Einheiten, die auch kriminelle Geschäfte machen? Wie kann man sich das vorstellen?
Ich weiß nicht, wovon die leben. Dazu gibt es verschiedene Versionen. Aber was den politischen Einfluss angeht und den auf die Sicherheitslage, so würde ich den Rechten Sektor nicht überschätzen.
SN: Was wünscht sich die Ukraine von Europa?
Europa darf vor allem nicht vergessen, worum es geht. Es ist die Entscheidung einer Nation, Teil Europas zu werden und die Bestrafung dieser Nation durch einen Nachbarstaat. Es geht um den Mauerfall der Ukrainer, nur sitzt jetzt im Kreml eben jemand Anderer. Es ist die Fortsetzung der Genese Europas, das sich nicht nur als Beobachter und Vermittler sehen darf, sondern als jemand, der für die selben Werte eintritt, für die die Ukraine jetzt kämpft.
Olexander Scherba ist seit November 2014 Botschafter der Ukraine in Wien. Der 1970 in Kiew geborene Diplomat studierte in seiner Heimatstadt Politik- und Sprachwissenschaften. Scherba spricht fließend Deutsch und Englisch. Stationen seiner Laufbahn waren Berlin und Washington. Scherba ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.