Bedeutet die Ernennung von Boris Gryslow zum russischen Verhandler in der Minsker Kontaktgruppe, dass Moskau im Donbass-Krieg womöglich gar an einer Lösung interessiert ist?
Pawlo Klimkin: Das hängt vor allem von einer Person ab, nämlich dem russischen Präsidenten.
Gryslow scheint ihm näher zu sein als der Vertreter davor.
Ja, er ist ein Schwergewicht in der russischen Politik und steht in direktem Kontakt mit dem Präsidenten. Hoffentlich wird er seine Möglichkeiten nutzen und das Minsk-Abkommen nicht länger stören.
Besteht 2016 eine Möglichkeit für eine Konfliktlösung?
Die Idee des Minsker Abkommens war, alles bis Ende 2015 zu erreichen. In Russland fehlte bisher der politische Wille. Entscheidend im politischen Prozess ist es, Wahlen auf Basis der OSZE-Prinzipien zu organisieren. Die Russen wollen das nicht akzeptieren. Dennoch hoffen wir, dass wir es 2016 schaffen. Berlin wird während seines OSZE-Vorsitzes Moskau hoffentlich drängen, Ergebnisse zu liefern.
Ein Punkt auf der To-do-Liste Kiews ist die in der Verfassungsreform angestrebte Dezentralisierung, die den Regionen mehr Kompetenzen geben soll. Wann wird das eigentlich erledigt?
2015 haben wir das Gesetz über den besonderen Status des Donbass (in erster Lesung, Anm.) bestätigt. Dieses Gesetz würde der Region viele Gestaltungsmöglichkeiten geben. Moskau hat aber ein anderes Verständnis von Dezentralisierung: Es will die Ukraine föderalisieren und den Regionen ein Vetorecht über Außen- und Verteidigungspolitik geben. Für uns geht es in der Ukraine um eine gemeinsame, europäische und demokratische Entwicklung. Wir wollen eine weitere Fragmentierung verhindern. Eine Mehrheit der ukrainischen Parlamentsabgeordneten ist bereit, für diese Verfassungsänderung zu stimmen. Sie könnte nach den Wahlen in Kraft treten.
Die Lokalwahlen sind also auch ein Knackpunkt für 2016. Wann werden sie stattfinden?
Das Minsk-Abkommen ist dazu sehr klar. Zunächst brauchen wir einen wirklichen Waffenstillstand. Dieser wird derzeit nicht eingehalten. Dann müssen wir uns über Wahlen auf Basis der OSZE-Kriterien einigen. Und natürlich brauchen wir jemanden vor Ort, der die Sicherheit überwacht. Wir können nicht von freien und fairen Wahlen reden, wenn dort Tausende Bewaffnete herumlaufen und Militärtechnik noch immer nicht abgezogen ist. Die russisch-ukrainische Grenze muss kontrolliert werden, damit nicht ständig Menschen und Militärtechnik in den Donbass kommen. Sonst können wir nicht über die Abhaltung von Wahlen reden.
So lautet Ihre Idealversion . . .
Wie sollen Ukrainer in den Donbass kommen, um die Wahlen zu organisieren, wenn noch immer Bewaffnete dort sind? Es geht nicht darum, dass Kiew alles vorschreibt. Aber wir brauchen Sicherheitsgarantien. Wie sollen ukrainische Parteien antreten, wenn dort Leute mit Kalaschnikows herumspazieren? Wir brauchen eine verstärkte internationale Präsenz. Das Beste wäre eine EU- oder UN-Mission.
Allerdings scheint eine UN-Mission nicht besonders realistisch.
Das einzige Problem im Sicherheitsrat sind die Russen!
Und die können Sie nicht hinauswerfen. Die Russen haben genau umgekehrte Vorstellungen vom Ablauf des Minsk-Prozesses: zuerst Verfassungsreform und Wahlen, dann erst Entwaffnung und Grenzkontrolle. Die Debatte ist in der Sackgasse.
Absolut. Die Russen haben gar keinen Plan. Sie sind interessiert an Instabilität. Für Moskau geht es ja nicht um den Donbass, sie wollen die Ukraine destabilisieren. Deshalb brauchen wir mehr internationalen Druck auf Russland.
Sind Sie beunruhigt, dass die EU-Sanktionsfront bröckeln könnte?
Die EU-Staaten müssen verstehen, dass es im Donbass nicht um den Donbass geht, auch nicht nur um die Ukraine. Die Sanktionen sind in Kraft, weil Russland internationales Recht gebrochen hat. Würde man sie abschaffen, wäre das ein Präzedenzfall für jeden, ungestraft Gesetze zu brechen. Es geht also um die Glaubwürdigkeit der EU.
Andererseits gibt es Realpolitik und Putins Teilrehabilitierung in Syrien. Befürchten Sie politische Tauschgeschäfte für seine Haltung in Syrien?
Nein, die befürchte ich nicht. Wenn Russland die Ukraine destabilisiert, bedeutet das eine immense Gefahr für die Stabilität in Europa selbst. Zweitens haben wir nie gesagt, dass man nicht mit Putin reden soll. Das tun wir ja auch im Normandie-Format. Die Ukraine und Syrien sind zwei ganz verschiedene Fälle.
Seit Jänner ist das EU-Freihandelsabkommen in Kraft. Welche Konsequenzen hat es für die Konsumenten? Wann profitieren sie?
Schon jetzt. Es gibt mehr Konkurrenz und mehr Möglichkeiten für ukrainische Produzenten, EU-Märkte zu erschließen.
Und die Einbußen auf dem russischen Markt durch hohe Zölle?
Die gibt es auch – das ist leider der Preis für unsere europäische Integration. Wir wollen keine postsowjetischen Deals mehr.
Nachdem Janukowitsch aus dem Amt gedrängt wurde, gab es die Hoffnung auf schnelle Reformen in Kiew. Nun, zwei Jahre später, geht es nur schleppend vorwärts.
Korruptionsbekämpfung, Justizreform und effizientes Regieren sind zentral. Im Justizwesen müssen wir ein komplett neues System installieren. Man kann Korruption nicht in eineinhalb Jahren auslöschen. Aber die neue Verkehrspolizei ist etwa ein gutes Beispiel für Erreichtes. Dieses Jahr wird entscheidend.