Botschafter der Ukraine: "Für Putin wäre es sehr einfach, diese Tragödie zu beenden"
Der deutsche Außenminister hat neue Ukraine-Gespräche auf höchster Ebene angekündigt. Was erwarten Sie davon?
Olexander Scherba: Wir meinen, dass es Gespräche auf höchster Ebene braucht, um den Krieg zu beenden, der gegen die Ukraine geführt wird — und um zu einer Lösung in der Krim-Frage zu kommen.
Solche Bemühungen gibt es schon seit Jahren. Haben Sie noch die Hoffnung, dass sich bald etwas ändern wird?
Scherba: Zuversicht gibt es keine. Zu viel hängt ab vom Geisteszustand und dem Kalkül einer Person im Kreml (gemeint ist der russische Präsident Wladimir Putin, Anm.). Niemand weiß genau, was er im Schilde führt. Für ihn wäre es sehr einfach, diese Tragödie zu beenden. Er müsste nur die russischen Bürger zurückziehen, die diesen Krieg auf ukrainischem Boden führen.
Russland wirft der Ukraine vor, Vereinbarungen nicht umzusetzen ...
Scherba: Russland würde alles sagen und tun, damit die Menschen vergessen: Es sind die russischen Staatsbürger, die den Krieg auf dem ukrainischen Territorium führen und nicht umgekehrt. Wir brauchen eine Lösung im Donbass, aber diese Lösung kann nicht auf einer Lüge beruhen. Die Vorstellung, dass Russland keine Konfliktpartei sei, ist eben eine Lüge. Russland braucht diesen Krieg, um Kontrolle auszuüben. Die Ukraine braucht diesen Krieg nicht. Den Krieg zu beenden ist für uns überlebenswichtig.
Über die Krim scheint inzwischen niemand mehr zu sprechen ...
Scherba: Oh doch! Wir sprechen immer über die Krim. Aber im Westen wollen viele Menschen nicht darüber sprechen. Seien Sie versichert: Wir werden die Krim niemals aufgeben. Diesen nichtprovozierten Diebstahl, diese Tötung Dutzender pro-ukrainischer Aktivisten, dieses Zertrampeln unseres Vertrauens werden wir nie vergessen. Die Krim ist völkerrechtlich unser. Die Tour de Force (Gewaltaktion), die dort durchgeführt wurde, hat allen geschadet — einschließlich Russland.
Aber Putin kann die Krim nicht ohne Gesichtsverlust aufgeben ...
Scherba: Wenn man das Völkerrecht und die Integrität in der Weltpolitik berücksichtigt, hat Putin sein Gesicht längst verloren. Er hatte die Möglichkeit, aus Russland einen globalen Gewinnbringer zu machen. Stattdessen machte er Russland zu einem globalen Problem. Macht er sich große Gedanken um seinen Gesichtsverlust? Warum müssen wir das immer wieder tun?
Solange die Situation so bleibt, hängt die Ukraine in der Luft. Welche Entwicklungsmöglichkeiten hat Ihr Land?
Scherba: Es gibt für die nahe Zukunft zwei realistische Szenarien. Das schlimme ist ein eingefrorener Konflikt im Osten. Das heißt — auf sechs Prozent des ukrainischen Territoriums. Der Rest des Landes ist stabil. Manche sagen sogar zu stabil. Wenn man Kiew besucht, kriegt man gar nicht mit, dass sich das Land im Krieg befindet.
Das bessere Szenario ist, dass sich Moskau um Frieden bemüht und man zu einer Lösung kommt.
Investoren, die es gewagt haben, trotz der schlechten Schlagzeilen in die Ukraine zu kommen, haben das nicht bereut. Heute fährt kaum ein deutsches Auto ohne Teile, die in der Ukraine hergestellt wurden. Es gibt kaum eine ukrainische Wurst ohne österreichische Gewürze. Der ukrainische Markt ist um 40 Prozent billiger als der chinesische — und unermesslich näher.
Wir sind da. Wir wollen ein Teil Europas werden. Wir sind einen Schritt davon entfernt, zu einem boomenden Wachstumsraum zu werden. Und dieser Schritt heißt: Frieden.
Welches Angebot würden Sie Putin machen — im Gegenzug für Ruhe im Donbass?
Scherba: Wir wollen einen Deal, aber nicht auf Kosten unseres Territoriums und nicht auf Kosten unserer Freiheit. Abgesehen davon sind wir bereit für Dialog und für Kompromisse. Natürlich wird das schwierig.
Optimistisch stimmen mich die Veränderungen in der Ukraine. Viele Menschen übernehmen jetzt Verantwortung, die Zivilgesellschaft boomt. Ja, ziemlich alle kritisieren die Regierung — und die Regierung findet sich damit ab. Das nenne ich Demokratie. Auch aus der Wirtschaft gibt es gute Nachrichten. Im vierten Quartal 2016 gab es 4,7 Prozent BIP-Zuwachs. Der Handel mit Österreich wuchs heuer im ersten Quartal um 57 Prozent. Wir verstehen, dass wir uns vom russischen Markt auf andere Märkte umorientieren müssen.