Der ukrainische Botschafter in Österreich, Olexander Scherba, für Tiroler Tageszeitung über den neuen Präsidenten in Kyiv und die Hoffnung auf Frieden in der Ostukraine.
Die Ukraine hat mit Politneuling Wolodymyr Selenskyj einen neuen Präsidenten, seine neue Partei „Diener des Volkes“ errang bei den Parlamentswahlen aus dem Stand die absolute Mehrheit. Ist nun alles neu in der Ukraine?
Olexander Scherba: Es gibt vor allem neue Hoffnung auf Reformen, auf die Bekämpfung der Korruption und auf Frieden im Donbass. Die frühere Regierung hat gerade hinsichtlich notwendiger Reformen viel gemacht – sie konnte aber die Stimmung in der Bevölkerung nicht drehen. Nun wird man optimistischer in der Ukraine.
Aber alte Strukturen werden sich nicht so leicht aufbrechen lassen.
Scherba: Dafür muss man Mut haben und der neue Präsident hat Mut. Er will keine Zeit verlieren. Schon kurz nach seiner Amtseinführung hat er beispielsweise eine ganze Reihe von Generälen in unseren Geheimdiensten entlassen, die mit Korruptionsbekämpfung beauftragt waren, aber selbst Teil eines korrupten Systems wurden. So erzielt man Fortschritt.
Es war gar von einer Art Revolution in der Ukraine die Rede.
Scherba: Zwei Revolutionen innerhalb eines Jahrzehnts sind genug. Aber die Veränderung ist groß. 80 Prozent der Parlamentarier, die jetzt im Parlament in Kiew sitzen, sind neu in der Politik. 26 Prozent der Parlamentarier sind Frauen – eine Rekordzahl für die Ukraine. Der neue Präsident kommt nicht aus der Politik und agiert unpolitisch. Ich hoffe, die Veränderung manifestiert sich auch in Ergebnissen. Einiges ist schon sichtbar, etwa der Umbau des der Korruption beschuldigten Zollamtes.
Im Konflikt mit Russland gab es zuletzt Stillstand. Der Friedensprozess für den Donbass liegt auf Eis. Gibt es nun mit der neuen ukrainischen Führung ein „Window of opportunity“?
Scherba: Ja, das gibt es. Den neuen politischen Vertretern und vor allem Präsident Selenskyj liegt der Frieden am Herzen. Im Krieg der Worte wird abgerüstet, die Rhetorik ist milder geworden. Als während des ausgehandelten Waffenstillstands vier ukrainische Soldaten getötet wurden – eine ungeheure Provokation – wurden Rufe laut, den Minsker Prozess abzubrechen. Doch Präsident Selenskyj widersetzte sich diesen Rufen und baut weiter auf Verhandlungen. Er will jede Chance auf Frieden nützen. Nun geht es darum, den Austausch von Gefangenen als wichtiges Zeichen von Entspannung voranzubringen. „One step at a time“ – anders wird es nicht gehen.
Kann der Friedensprozess von Minsk wiederbelebt werden?
Scherba: Wir haben nichts außer Minsk. Wir dürfen diesen Friedensplan nicht aufgeben. Um Frieden zu erlangen, müssen das freilich beide Seiten wollen. Die Ukraine will Frieden. Russland muss noch zeigen, ob es Frieden will oder nicht doch nur darauf abzielt, die Kontrolle über die Ukraine zu erlangen – was nie passieren wird. Wenn Russland Frieden will, dann wird es Frieden geben. Dann wird keine Hürde zu hoch sein.
Bleibt die Ukraine der europäischen Vision treu? Will die Ukraine weiter der EU und der NATO beitreten?
Scherba: Unsere Richtung bleibt unverändert. Wir wollen in die EU und in die NATO, auch wenn es absurd wäre, von irgendeinem Beitrittstermin zu sprechen. Wir sind Realisten und wissen, wie lange der Weg sein wird. Was die Ukraine braucht, ist eine Richtung und diese ist gewählt worden.
Zuletzt wurden immer wieder Stimmen laut – auch von US-Präsident Donald Trump –, die Russland wieder in den Kreis der wichtigsten Industriestaaten aufnehmen wollen. Was sagen Sie dazu?
Scherba: Nach der Annexion der Krim und bereits 13.000 Toten im Konflikt im Donbass ist es wohl nicht die richtige Zeit, darüber zu sprechen. Seit 2014 hat Russland alle möglichen Regeln gebrochen und keinerlei Reue gezeigt – geschweige davon, seine Verbrechen rückgängig zu machen. Trotzdem ist Moskau zurück im Europarat. Will man weitere Zeichen setzen, dass es richtig ist, die Politik des Landraubs zu betreiben?
Was ist von der Idee übrig geblieben, UNO-Blauhelme in die Konfliktregion in der Ostukraine zu schicken?
Scherba: Das wäre sicher der effizienteste Weg, Frieden zu schaffen. Wir wollen die Blauhelme aber nicht nur entlang der Frontlinie stationieren, sondern im gesamten Konfliktgebiet, auch entlang der Grenze zu Russland, über welche die Ukraine keine Kontrolle hat. Russland hat diese Idee nicht unterstützt.
Und was ist mit der Krim? Ist eine Rückgabe der annektierten Halbinsel seitens Moskaus noch realistisch?
Scherba: Es kann nur eine Position geben, die völkerrechtskonform ist: Die Krim gehört zur Ukraine. Alles andere wäre die Anerkennung von Landraub.
Ist ein Treffen zwischen Kremlchef Wladimir Putin und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj möglich?
Scherba: Davon ist noch nichts bekannt. Telefonate zwischen den beiden Präsidenten hat es aber schon gegeben.
Wie würden Sie die Beziehungen der Ukraine zu Österreich bezeichnen?
Scherba: Die Beziehungen zu Österreich sind sehr gut. Und ich hoffe, es wird auch unter den neuen Regierungen in beiden Ländern so bleiben. Nach dem Selenskyj-Sieg gab es Pläne für einen Kanzlerbesuch in der Ukraine. Diese mussten durch die Ereignisse in Österreich aufgeschoben werden. Ich hoffe, nach den Wahlen in Österreich kommt man auf diese Idee zurück.
Das Gespräch führte Christian Jentsch